Naturwissenschaftliche Forschung lebt vom Diskurs - und geteilten Daten
In den Naturwissenschaften ist es mittlerweile Gang und Gäbe, Forschungsdaten als kollektive Quelle zu nutzen. Insbesondere in Disziplinen wie der Teilchenphysik wäre produktive Forschung ohne
Open Data kaum mehr möglich, da die nötigen Experimente schlicht zu kostspielig sind, um von jedem Forschenden wiederholt zu werden. Zudem passiert der eigentliche Teil der Denkarbeit erst, wenn die Experimente bereits beendet sind und die Forschungsdaten vorliegen – schließlich geht es um die Analyse und Bewertung, um das Entwickeln neuer Ideen – weniger darum, wer wie viel Speicherplatz mit Forschungsdaten füllen kann.
Digitale Kunstgeschichte - wenig vertrauenserweckendes Neuland?
In der Kunstgeschichte stehen wir nicht so offensichtlich vor diesem Problem – doch die Tatsache, dass wir „auch gut ohne“ über die Runden kommen, hat die Notwendigkeit einer digitalen, vernetzten Kunstgeschichte bislang in großen Teilen untergraben. Sollen die hart erarbeiteten Früchte der eigentlichen Forschungsarbeit etwa „einfach so“ ins Netz gestellt werden, womöglich noch zur völlig freien Nutzung?!
Hinzukommt, dass wir als Geisteswissenschaftler kaum eigene Forschungsdaten generieren, unser Metier sind vielmehr die Bilder: Bilder, die andere (für uns) gemacht haben, ob Originale oder Reproduktionen. Warum das zum Problem werden kann, weiß jeder, der bereits eine Publikation veröffentlichen wollte. Denn da kommen auf einmal zahlreiche Fragen auf: Wer hält denn nun die Rechte an einem Kunstwerk oder einer Reproduktion davon? Ist es der Künstler? Ist es die Institution, in der sich das Werk befindet? Die Öffentlichkeit, aus deren Geldern diese Institutionen finanziert werden? Oder vielleicht doch der Fotograf, der die Reproduktion angefertigt hat? Darf ich Abbildungen aus digitalen Datenbanken wie Prometheus überhaupt veröffentlichen?
Schon mal von Open Data gehört?
Der
aktuelle Prozess der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen gegen die Wikimedia Foundation zeigt ganz deutlich, wie groß hier der Diskussionsbedarf und wie zahlreich die Missverständnisse noch sind. Das Amtsgericht Nürnberg hat die Klage der Stadt Mannheim zurückgewiesen, da das Museum die Gemeinfreiheit des Gemäldes einschränke (Fotografieren ist im Museum verboten) und wertet die Abmahnungen als Versuch, dem abgelaufenen Urheberrecht weiterhin Gültigkeit zu verleihen.
Die Reiss-Engelhorn-Museen schreiben in ihrer ausführlichen
Presseerklärung zum Thema:
„Gerade weil das Fertigen der Fotografie mit Steuergeldern finanziert wurde und die Kulturetats immer knapper werden, verlangen wir für gewerbliche oder kommerzielle Nutzungen moderate Gebühren. An uns werden, was die Erfüllung unserer Aufgaben angeht, vom Publikum mit Recht hohe Erwartungen gestellt. Das kostet Geld. Wir halten es daher für nicht verwerflich, wenn wir für kommerzielle Nutzungen unserer Arbeitsergebnisse wenigstens einen Teil der Kosten wieder einspielen möchten. Andere öffentliche Institutionen handhaben dies im Übrigen nicht anders. Es gibt jedenfalls keinen Grundsatz, dass diese nur deswegen, weil sie mit Steuergeldern finanziert sind, ihre Leistungen für jedermann unentgeltlich zu erbringen haben. […] Unsere Gebührenordnung sieht für Internetnutzungen unterschiedslos einen einheitlichen Gebührensatz vor. Es kommt also nicht darauf an, wer die Anfrage stellt und welche Nutzung vorgesehen ist. Für eine zeitlich unbegrenzte Nutzung einer Fotografie im Internet fallen 250,00 EUR an.“
Ich kann nachvollziehen, dass insbesondere die kommerzielle Nutzung von Kunstwerken und deren Reproduktionen schwierig ist, zumal die meisten kulturellen Einrichtungen finanziell zu kämpfen haben und die Lizenzgebüren gut brauchen könnten. Aber nach der Argumentation dieser Presseerklärung habe ich mich gefragt, ob sich in Mannheim schon einmal jemand mit Open Data und Gemeinfreiheit beschäftigt hat. Den Verantwortlichen kann ich nur zur Lektüre der Grundsätze der
Open Access Foundation raten: Durch öffentliche Gelder subventionierte Forschungsergebnisse sollten der Öffentlichkeit auch wieder frei zugänglich gemacht werden. Dies ist insbesondere deshalb wichtig, da nach der Veröffentlichung häufig Verlage die Rechte an den Publikationen halten und diese wiederum durch öffentliche Gelder zurückgekauft werden müssen, zum Beispiel von öffentlichen Bibliotheken.
Meines Erachtens sollte dieser Grundsatz nicht nur für wissenschaftliche Publikationen sondern genauso für Bilder gelten, die ja die Forschungsdaten der Kunstgeschichte sind. Insbesondere dann, wenn es sich um gemeinfreie Kunstwerke handelt, sollten qualitativ hochwertige Reproduktionen unter offenen Lizenzen im Internet zu finden sein, ob nun auf Wikimedia oder den jeweiligen Websites der Museen.
Hier geht es nicht nur um Firmen, die lustig bedruckte Kaffeebecher verkaufen möchten, sondern genauso um Forschung und gemeinnützige Projekte wie die Website
http://musical-co.net/, ein gemeinnütziges Portal für Kinder und Jugendliche über Musiktheater, die ebenfalls von den Abmahnungen der Stadt Mannheim betroffen war.
Und wie soll gute, produktive Forschung möglich sein, wenn die jeweiligen Originale in Depots schlummern, man im Museum nicht fotografieren darf und keine bezahlbaren hochauflösenden Abbildungen zu bekommen sind?
Vernetzung in der Kunstgeschichte: Wozu das denn?
Ein weiteres Problem, das ich insbesondere für die Forschung sehe, ist die mangelnde Vernetzung der Kunsthistoriker auf digitaler Ebene. Corpora, deren Erarbeitung ein wichtiger Teil der Forschung ist, sind oft nur in den entsprechenden Monografien zu finden. Je nach Alter der Publikationen handelt es sich dabei mitunter lediglich um Schwarzweiß-Abbildungen zweifelhafter Qualität, jedoch sind hier Abbildungen von Werken versammelt, die anderswo nicht zu finden sind. Daher ist es dringend notwendig, wissenschaftliche Datenbanken mit hochauflösendenden Digitalisaten dieser Werke zu erstellen, um diese einem möglichst großen Kreis von Forschenden zugänglich machen zu können, bestenfalls unter einer offenen Lizenz. Fragen, die sich dabei leider immer wieder auftun: Wer kann eine Datenbank erstellen und online verfügbar machen? Und wer bezahlt das - also Software, Server, Arbeitszeit und falls nötig Bildlizenzen?
Ein großer Schritt für die Kunstgeschichte
Erste Schritte in eine offenere Richtung werden auch in der Kunstgeschichte bereits unternommen, ein Beispiel hierfür ist das Portal
arthistoricum.net, dessen Publikationsplattform
ART-Doc Kunsthistorikern die Möglichkeit bietet, ihre wissenschaftlichen Publikationen für Forschung und Lehre oder aber unter einer freien Lizenz kostenlos zur Verfügung zu stellen. Das Projekt
FONTES, ebenfalls Teil von
arthistoricum.net veröffentlicht wiederum kommentierte und bebilderte Volltext-Versionen frühneuzeitlicher Kunstliteratur - ebenfalls ein wichtige Quelle für kunsthistorische Forschung.
Der Grund für für dem Mangel an Angeboten scheint also nicht die mangelnde Bereitschaft zu sein, in digitale Infrastrukturen zu investieren, sondern vielmehr das Zögern der Autoren und Datengeber . Besonders bei ART-Doc sticht es ins Auge: Ein Großteil der Autoren ist lediglich mit einigen wenigen Publikationen auf der Plattform vertreten, nur selten wird mehr online gestellt. Zudem ist ein Großteil der dort zu findenden Dokumente der Kategorie
Artikel/Buchbeitrag zugeordnet.
Zeigt sich hier das mangelnde Vertrauen der Autoren in diese neue Art des Publizierens? Oder sind hier vielmehr urheberrechtliche Fragen ausschlaggebend (Die Rechte an Monografien halten häufig die jeweiligen Verlage, sodass diese nicht einfach von den Autoren frei veröffentlicht werden können)?